Bei “Sherlock Holmes” denkt man, beim Genre Hörspiel, zuallererst an die Klassiker-Fälle, die Maritim zwischen 2003 und 2011 als Original-“Sherlock Holmes”-Hörspielserie mit den beliebten Holmes- und Watson-Sprechern Christian Rode und Peter Groeger vertont hat. Hier findest du einige Blogeinträge dazu. Beachtung haben jedoch auch die neuen Fälle verdient, die bei wechselnden Hörspiel-Labels produziert werden. Diese bewahren häufig Traditionen, sind aber durch neue narrative Elemente geprägt und storytechnisch hier und da komplizierter.
“Der siebte Monat”, Folge 26 der Reihe “Die neuen Fälle” ist am 29. Juli dieses Jahres erschienen. Es handelt sich um eine Audio-Produktion – genauer eine Hörspiel-Pastiche* – vom Label Romantruhe Audio, einem deutschen Vertrieb und Produzenten von Büchern und Hörspielen, in Zusammenarbeit mit All Score Media.
* Was das genau ist, erfahrt ihr bei Sherlock Holmes Wiki.
Kongress über Psychoanalyse und Hysterie
Sherlock Holmes (Christian Rode) und Dr. Watson (Peter Groeger) reisen nach Hastings, in eine idyllische Küstenstadt. Um an einem medizinischen Kongress teilzunehmen, quartieren sie sich in ein Hotel ein, das 1849 errichtet wurde. Schon nach kurzer Zeit entpuppt sich die Reise als Geisterjagd, denn seit kurzem ist der Geist des Hotels verflucht. Ein gewisser Lord treibt sein Unwesen und spukt herum. Man munkelt, es ertönten Geräusche wie das Stöhnen eines Menschen.
Ein rätselhafter Küstenmord
Der Hotelbesitzer Peter Westlake (Werner Ziebig) ist von einer Klippe gestoßen worden. Sergeant Hopkins (Reent Reins) nimmt den Sohn des Ermordeten Hoteliers – Robert, Rufnahme Bobby (Daniel Montoya) – mangels Alibi in Haft. Mögliches Motiv: jahrelange Misshandlungen durch seinen Vater. Jener leugnet jedoch die ihm vorgeworfene Tat und beteuert aus tiefem Herzen seine Unschuld. Eine weitere Verdächtige, mit Gelegenheit und Motiv (wie Holmes es zu sagen pflegt), ist die gute Dame Helen Pritchard (Annekathrin Munz).
Ein düsteres Familiengeheimnis
Wo ein Mord, da ist Sherlock Holmes Spürsinn gleich geweckt. Er nimmt die Ermittlungen im Mordfall Westlake auf. Ist schließlich Stewart Hopkins selbst der Täter? Und dann tritt auch noch Inspector Lestrade (Lutz Harder) höchstselbst in Erscheinung. Die Suche nach dem Täter erscheint aussichtslos. Die Indizien überschlagen sich und des Schlüssels Lösung scheint in dem halben Jahrhundert alten Gedicht zu liegen. Schließlich umhüllt die Familie Westlakes ein grausames Familiengeheimnis …
Fazit
Inhalt:
“Der siebte Monat” ist ein kriminologisches Dickicht voll Energie und Leichtigkeit. Der Autor Eric Niemann greift mal wieder einige Motive aus den alten Vorlagen von Arthur Conan Doyle auf: ein gelangweilter Meisterdetektiv, welcher – der Ruhe überdrüssig – von Watson beinahe unfreiwillig aus London katapultiert wird und dort mit mysteriösen Vorgängen konfrontiert wird. Unterhaltsame Dialoge runden das Hörvergnügen ab.
Punkteabzug in der B-Note: Einmal im Hotel angekommen, dauert es einige Zeit, bis die Handlungsstränge zum eigentlichen Kern der Geschichte zusammengezurrt werden. Der Weg zur Aufklärung verläuft äußerst ruhig und ist stärker von Dialogen als von Handlungen geprägt. Achtung Spoiler! Die kleinteilige Spurensuche, die darin gipfelt, dass es lediglich Indizien, aber bis zuletzt keine eindeutigen Beweise gibt, ist absolut spannend umgesetzt. Szenarischer Höhepunkt sind die Hörspielschnipsel, die ohne die Figuren Holmes und Watson auskommen (zwei weitere Figuren widmen sich einem merkwürdigen Rätsel). Das gibt dem Hörer einen vermeintlichen Wissensvorsprung!
Alles in allem ist “Der siebte Monat” ein neueres Sherlock-Abenteuer mit einem spannenden Hintergrund, mehreren Geheimnissen, spannenden Rätseln, ausdrucksstarken Protagonisten und lebendigen Dialogen. Das Finale bringt noch einmal alle Beteiligten auf die Bühne, liefert überraschende Wendungen und schließt mit einer moralischen, fast schon philosophischen Fragestellung. Dialoglastige und ruhige Folge mit Seltenheitswert – Chapeau!
Sprecherleistung:
Neben den bekannten Stimmen der beiden Hauptfiguren sind sechs weitere Sprecher im Einsatz. Die Hörspiel-Crew macht durch die Bank hervorragende Arbeit. Allen voran Daniel Montoya vermag stimmlich zu überzeugen mit seinem freundlichen Gemüt, seinem Aufbegehren gegen seinen Vater, der späten Verzweiflung – all das wird eindringlich und glaubwürdig umgesetzt. Reent Reins alias Stewart Hopkins ist geprägt von einem unverkennbaren Klang, die eine äußerst interessante Figur erschafft. Annekathrin Munz, die Helen Pritchard ihre Stimme leiht, kann durch Rhythmus-Gefühl überzeugen.
Geräusche-Umsetzung:
“Der siebte Monat” ist von einer gewissen Ruhe geprägt, was sich auch auf die akustische Gestaltung auswirkt. Daher wurden einige zarte Zwischenmelodien eingebunden, die dem Gesamteindruck des Hörspiels gerecht werden sollen: Harmonie! Spannung wird hier und da jedoch auch erzeugt. Die Geräusche sind stimmig eingefügt und sorgen so für eine authentische, keinesfalls künstlich-überladene Atmosphäre.
Cover und Titel:
Das Cover zur Folge zeigt eine malerische Landschaftsaufnahme mit dem klassischen Motiv des Mannes am stürmischen Meer, dahinter sanfte Hügel. Die Gestalt von Sherlock Holmes hebt sich mit dessen typsischen Attributen deutlich ab. Das Coverbild ist in der Art eines alten Ölgemäldes gestaltet – damit erinnert es ganz stark an das Gemälde Der Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich (1818).
Der Titel “Der siebte Monat” passt perfekt und macht unglaublich neugierig. An dieser Stelle nehmen wir natürlich nichts vorweg!
Gesamtspiellänge:
1h 19min 41sec
Produktionsjahr:
2016
Lieblingszitat:
Dr. Watson: “Jeden Morgen ein Brandy vertreibt alle Sorgen, Holmes.”
Sherlock Holmes: “Das Gewissen, mein lieber Watson, ist eine Wunde, die nie heilt,”, [Watson seufzt], “aber an der keiner stirbt.”
Besetzung:
Sherlock Holmes | Christian Rode |
Dr. Watson | Peter Groeger |
Inspector Lestrade | Lutz Harder |
Stewart Hopkins | Reent Reins |
Peter Westlake | Werner Ziebig |
Robert „Bobby“ Westlake | Daniel Montoya |
Bartholomew Cobb | Nicolai Tegeler |
Helen Pritchard | Annekathrin Munz |